Zwischen Himmel und Erde – Fortsetzung 8

Wehe wenn sie losgelassen

Joy hatte nun den Geruch der Freiheit erschnuppert. Seitdem war ich nicht nur der Dosenöffner, sondern auch Türauf- und zuschließer vom Dienst. Bei Regen hatte ich weniger zu tun. Da lümmelte sie sich lieber in den oberen Korb des Kratzbaums oder sie setzte sich aufrecht hinein. Das sah dann aus wie bei einem Matrosen, der auf seinem Aussichtspunkt alles überblickte. Es gab nichts was Joy entging. Ihr Lieblingsschlafplatz allerdings war die Filztasche auf dem Schlafzimmerschrank. Da konnte sie vollkommen ungestört sein. Bevor ich ins Bett ging, lag sie schon oben. Manchmal beim Fernsehen bemerkte ich nicht, wenn Joy schlafen ging. Deshalb prüfte ich immer bevor ich mich ins Bett legte ob sie sich in der Tasche befand. Ich musste mich ein bisschen strecken und an einem Henkel kurz ziehen. War die Tasche schwer, konnte ich auch beruhigt einschlafen. Charly hielt sich lieber in den unteren Regionen auf. Sein Körper mit den kurzen Beinen ließ hohe Sprünge nicht zu. So konnte Joy auch ihm entkommen, wenn sie ihre Ruhe haben wollte.

„Bekommst du den kleinen Finger, möchtest du gleich die ganze Hand.“ So war es auch bei Joy. Ich weiß nicht wie oft ich im Winter zu fast jeder Tages- und Nachtzeit die Tür auf- und zugemacht habe. Sie konnte sehr penetrant sein, wenn sie hinausgehen wollte. Selbst als es zu schneien anfing war sie nicht zurückzuhalten. Es machte ihr sogar Spaß in der weißen Masse herumzutollen und ihre Fußabdrücke zu hinterlassen. Charly hingegen streckte nur sein Näschen raus. Er legte sich lieber vor den warmen Heizkörper. Wenn ich zur Arbeit ging, achtete ich darauf, dass sie zu Hause war. Es war ja niemand da, der sie hereinlassen hätte können. Doch wenn ich dann heimkam wurde ich schon sehnsüchtig erwartet um mich wieder als Türöffner zu betätigen.

An Weihnachten wurden wir evakuiert. Eine riesige Bombe vom zweiten Weltkrieg war gefunden worden und meine Wohnung lag im Radius der geräumt werden musste. Ich packte meine beiden Süßen in ihre Tragetaschen und wanderte mit Sack und Pack zu meiner Tochter. Ich war froh, dass ich Verwandte hatte, die mich aufnahmen. Ich dachte an die Menschen, die nicht so viel Glück hatten und in einer Sammelunterkunft das Weihnachtsfest verbringen mussten. Wir drei quartierten uns im Arbeitszimmer ein. Ich bekam ein aufblasbares Bett. Joy und Charly verkrochen sich ängstlich gemeinsam in einer Tragetasche. Sie trauten sich kaum heraus. In der fremden Umgebung fürchteten sie sich. Ich atmete auf, als am 2. Weihnachtsfeiertag dann im Fernsehen vom Bürgermeister die Nachricht verkündet wurde, dass wir wieder nach Hause gehen dürfen. Als es an Silvester krachte und die Leute ihre Raketen in den Himmel schickten, saßen wir drei zu Hause auf dem Sofa. Die Rollos waren geschlossen. Doch meine Fellnasen verhielten sich wie im letzten Jahr total entspannt. Per WhatsApp prostete ich meinen Freunden zu, und war froh, dass ich dem ganzen Rummel, da ich wegen meiner Katzen zu Hause bleiben musste (durfte), entkommen konnte.

Ich mochte meinen Türjob nicht mehr, deshalb rang ich mich durch im Februar 2018 eine Katzenklappe ins Fenster einbauen zu lassen. Stück für Stück erkämpfte sich Joy so ihre Selbstbestimmtheit. Ich entschied mich für ein Modell das man mit Joys Chip programmieren konnte und von außen nur aufging, wenn sie davorstand. Aber vorher musste ich es ihr beibringen. Zuerst klebte ich die Klappe mit Tesa oben fest und lockte sie mit Leckerlis durch die Öffnung. Als sie das begriffen hatte, verschloss ich die Klappe. Am Anfang traute sie sich nicht das Plastiktürchen mit ihrem Kopf aufzudrücken. Doch als der Groschen gefallen war, hatte sie einen Heidenspaß. Rein, raus, rein, raus. Charly lehrte ich es nicht und er versuchte es auch nicht von selbst. Manchmal wenn Joy zu lange ausblieb streckte er seinen Kopf durch die Klappe und beim Rückzug schepperte es. Meistens legte er sich auf den Kratzbaum der vor dem Fenster stand und wartete auf seine Herzensdame. Einmal, es war schon dunkel draußen, knallte mit einer Wucht die Klappe auf und Joy schoss wie ein Pfeil durch die Öffnung. Ich hätte nur zu gerne gewusst, was sie so erschreckt hatte, aber ich konnte in der Dunkelheit nichts erkennen.

Obwohl ich Joy inzwischen voll und ganz vertraute, brachte ich es lange noch nicht fertig die Katzenklappe so einzustellen, dass sie ständig von beiden Seiten frei zugänglich war. Mir machte es zwar nichts mehr aus, wenn ich die Wohnung verlies und Joy war nicht zu Hause, denn jetzt konnte sie ja hereinspazieren wie sie Lust dazu hatte. Ich stellte die Klappe aber so ein, dass sie erst einmal daheim bleiben musste bis ich wieder zurückkam. Das komplette Loslassen fiel mir unglaublich schwer. Doch irgendwann kämpfte ich mich auch durch diese Hürde und Joy enttäuschte mich nicht. Meistens lag sie sowieso auf der sonnigen Terrasse in ihrem Lieblingsstuhl und schlief.