Zwischen Himmel und Erde – Fortsetzung 7

Freiheitsdrang

Die Katzenkinder-Winterkuschelzeit auf dem Sofa war vorbei. Der Frühling schickte immer öfters seine Sonnenstrahlen durch das Wohnzimmerfenster. Joy liebte es sich auf dem Fußboden im wärmenden Lichtkegel zu räkeln. Endlich konnte ich wieder meine Terassentüren öffnen. Ich genoss den milden Wind, der die frische Luft durch meine beiden Zimmer blies. Doch die Lüftungsaktionen gestalten sich als kompliziert, denn Joy nützte jede Gelegenheit um ebenfalls ins Freie zu gelangen. So musste ich ständig aufpassen, dass sie mir nicht unbeobachtet nach Draußen entwischte. Wahrscheinlich erinnerte sie sich an die Ausflüge an der Leine im letzten Jahr. Wenn ich die Tür zur Terrasse im Wohnzimmer öffnete, sperrte ich Joy in diesem Zimmer aus und wenn ich die Tür vom Schlafzimmer öffnete musste ich ihr diesen Zutritt verweigern. Das war anstrengend, denn Joy war flink und klug. Mit der Zeit wurden mir diese Aktionen zu anstrengend. Außerdem bekam ich Mitleid mit ihr. Ich konnte ihren Drang gut verstehen. Draußen war es viel spannender als Drinnen. Die verschiedenen Düfte und die Vögel die in der Buchenhecke zwitscherten waren viel zu interessant. Sie war kein Katzenkind mehr und sie an der Leine zu führen, war für mich genauso wenig befriedigend wie für sie. So entschloss ich mich ihr zu vertrauen und zu testen wie weit sie sich von der Terrasse entfernen würde, wenn ich sie gehen ließ.

Es überraschte mich, dass sie erst eine Weile an der offenen Tür saß und an der Schwelle zur Freiheit ihr Näschen rümpfte. Hingegen meiner Vorstellung, sie würde sofort ihre Chance nutzen und davonsausen, tastete sie sich zuerst langsam über den Steinboden. Sie beschnüffelte jeden Gegenstand und rieb ihre Backen an Stuhlbeinen und Blumentöpfen. Sie sah zufrieden aus und blinzelte mich glücklich an. Charly, der das alles von der sicheren Wohnung aus beobachtet hatte, schlich ihr geduckt nach, so als hätte er Angst der Himmel würde ihm auf den Kopf fallen. Vielleicht waren seine Vorfahren Gallier wie Asterix und Obelix. Bei ihm war es ganz klar, dass er es nur seinem großen Vorbild Joy nachtat. Er bewegte sich in der großen Freiheit äußerst zaghaft und erschien mir unsicher. Weil Joy nicht weglief, erlaubte ich ihr fortan diese kleinen Ausflüge und gestattet sogar, dass sie Charly bis zur Terrasse vom Nachbarn mitnehmen durfte. Sie dirigierte ihn tatsächlich mit ihrer Nase indem sie ihn am Rücken anstupste. Und es gab noch etwas, was mein Vertrauen verstärkte. Sie hörte auf ihren Namen. Vielleicht kennen Sie noch die Fernsehserien „Fury“ oder „Lassie“? Der schwarze wilde Hengst, der sich beim Vorspann des Films in einer felsigen Landschaft befand und als er seinen Namen hörte mit donnernden Hufen über Stock und Stein dem Ruf folgte. Auch der treue Hund Lassie gehorcht sofort. Genauso war es bei Joy. Wenn sie aus meinem Blickwinkel verschwunden war, brauchte ich sie nur zur rufen schon war sie da und hüpfte durch ein Loch in der Hecke wie ein Tiger durch einen Feuerreif. Dafür wurde sie mit einem Leckerle, viel Lob und Streicheln von mir belohnt. Sie durfte nur raus, wenn ich zu Hause war. Das akzeptierte sie, aber wenn ich heimkam war ihr erster Wunsch „Bitte Türe öffnen“.

Sie breitete ihre Streifzüge aus und als sie im Sommer ihr Revier auch über das Gebiet des umzäunten Grundstücks ausdehnte, ließ ich ihr ein Mikrochip-Implantat vom Tierarzt einsetzen und registrierte sie bei Tasso. Mehr konnte ich für meine Freiheitskämpferin nicht tun um sie zu schützen. Den Rest musste ich in Gottes Hände legen.

Mit Charly hatte ich hingegen ganz andere Sorgen. Im Mai 2017 befiel ihn diese Krankheit das erste Mal. Er war schlapp, fraß nicht mehr richtig und bekam kleine Bläschen an sein Schnäutzchen, die sich rot entzündeten. Vermutlich war es eine Form von Herpes, aber selbst die Tierärztin war sich nicht ganz zu hundert Prozent sicher. Ich schätzte ihre Ehrlichkeit, als sie mir sagte, dass die Forschung nach der Ursache zum einen mit sehr hohen Kosten verbunden sein würde und zum anderen für Charly eine Tortur wäre. Eine Sicherheit, dass bei dieser Prozedur ein Ergebnis herauskäme lag bei 50:50. Deshalb verabreichte sie ihm Kortison. Mit diesem Medikament waren wir alle nicht zufrieden und wir hofften, dass es eine einmalige Lösung war. Die Spritze wirkte und er erholte sich wieder, bis es im Juli erneut ausbrach. Ich hatte großen Kummer. Ich vereinbarte mit der Veterinärin das diese zweite Spritze auch die letzte war und wir bei einem erneuten Ausbruch einen anderen Weg gehen müssten. Aber noch eine erschreckende Nachricht über Charlys Gesundheit erschütterte mich. Die Ärztin fragte mich ob Charly lahmen würde. Ich war verwundert. Sie klärte mich über einen rassespezifischen Gendefekt auf, den er aufgrund der verkümmerten Ohren aufzeigte. Die gewollte, gezüchtete Abnormität kann im schlimmsten Fall bei dieser Rasse große, einer Arthrose ähnlichen Schmerzen auslösen. Bei einem Test könnte dann der Befund auf Osteochondrodysplasie (OCD) lauten und ist unheilbar. Ich hatte keine Ahnung von dieser Krankheit. Irgendwann nahm ich mir vor, werde ich Charly testen lassen. Auch von seinen Herpes Bläschen und der damit verbundenen Mattigkeit blieb er noch nicht verschont. Von einer sehr guten Freundin bekam ich einen Tipp auf ein homöopathisches Mittel mit dem ich zum Glück eine weitere Behandlung mit Kortison vermeiden konnte. Es gelang mir die allergische Reaktion – auf was auch immer – damit in den Griff zu bekommen. Was ich ihm genau verabreicht hatte, möchte ich hier nicht nennen, denn es widersprach jeglicher Schulmedizin. Auf jeden Fall half es Charly. Als er wieder fit war, brach der Herbst herein, die Ausflüge von Joy wurden kürzer und wir näherten uns wieder der Winterkuschel- und Wohnzimmerspielzeit.