Wohnungskatze oder Freigänger?
Würde ich heute, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte es anders mit Joy machen? Würde sie noch leben, wenn ich ihr nie gestattet hätte nach draußen zu gehen? Die Fragen beschäftigen mich immer noch. Doch ich denke, dass letztendlich der Charakter einer Katze bestimmt ob sie nach draußen drängt oder nicht.
Fast jedesmal wenn ich nach Hause kam erwartete Joy mich schon an der Tür. Manchmal nutze sie die Gelegenheit ins Treppenhaus zu entwischen. Sie war voller Tatendrang und begriff schon bald, dass es noch viel mehr zu erkunden gab als eine Zwei-Zimmer-Küche-Bad-Wohnung. Wie oft wünschte ich mir diesen Sommer, anstelle einer Terrasse einen Balkon zu besitzen um den ich ein Katzenschutznetz spannen hätte können. Wie sollte mein Kätzchen verstehen, dass ich mich draußen auf der Liege räkelte, während sie auf der Heizkörperbank im Wohnzimmer ihre Nase am Fenster plattdrückte. Schließlich wollte sie auch da sein wo ich war, denn egal was ich tat sie war immer mit von der Partie. Ob ich die Wohnung putzte oder in der Badewanne lag. Es war alles hochinteressant. Nur zu gerne wäre sie mir auf die Terrasse gefolgt, aber ich achtete penibel darauf, dass diese Tür für sie verschlossen blieb. Wir kannten uns ja noch nicht lange und ich fürchtete, dass sie entwischen und dann nicht mehr nach Hause finden würde. In der warmen Jahreszeit stehen bei mir normalerweise die Terrassentüren offen, aber jetzt war ich damit beschäftigt sie sorgsam zu verschießen. Auch die Fenster konnte ich nicht mehr während meiner Abwesenheit kippen. Immer wieder las ich, dass Katzen versuchen durch gekippte Fenster zu schlüpfen und qualvoll sterben. So wurde es in meiner Wohnung zunehmend stickiger. Ich suchte nach einer für mich und für Joy befriedigende Lösung.
Ich hatte schon öfters beobachtet, dass Menschen mit ihren Katzen an der Leine spazieren laufen und so dachte ich. „Vielleicht klappt das auch mit Joy.“ Ich fragte in einem Zoofachgeschäft nach und die Verkäuferin erzählte mir, dass sie eine Kundin hätte, die ihre Katze überall mithinnehmen würde. Sogar wenn sie bei ihr einkaufte. Die Dame würde ihre Katze dann aus der Tasche holen und mit ihr an der Leine herumlaufen. „Prima,“ dachte ich, „das probiere ich aus“. Ich kaufte ein Katzengeschirr und eine Leine.

Zuhause versuchte ich dann, ihr das Geschirr anzulegen. Mit viel Geduld und Überredung ließ sie es schließlich über sich ergehen. Ich befestigte die Leine an der Öse und wir spazierten ein bisschen im Wohnzimmer auf und ab. Zuerst sträubte sie sich, bis sie bemerkte, dass sie die Führung übernehmen durfte. Jetzt öffnete ich die Terrassentür. Der erste Schritt in die vermeintliche Freiheit war sehr zaghaft. Ich ließ sie weiterhin führen und folgte ihr wohin sie ihr Näschen leitete. Ich begriff schnell, dass es bei unseren Freigängen nicht jetzt und auch nicht in Zukunft nach meinem Willen gehen würde. Mit diesen kurzen Ausflügen gab sie sich jedoch im Augenblick zufrieden und sie war genauso gerne wieder drinnen. Vor allem wenn es regnete war sie nicht ambitioniert draußen zu sein. Ich hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben Joy als reine Wohnungskatze zu halten. Es wurde Herbst und die bevorstehende kalte Jahreszeit sollten dazu dienen meinen Haustiger zu überzeugen, dass es drinnen viel schöner ist als draußen.
Der November war angebrochen und ich empfand mit Joy diesen Monat sogar schön. Sobald ich es mir auf dem Sofa mit meiner Wolldecke bequem einrichtete, war auch schon mein Katzenkind da. Entweder schmiegte sie sich an meinen Hals oder sie trampelte über mich hinweg um auf mir einen für sie angenehmen Platz zu finden. Obwohl sie nicht schwer war, bohrten sich ihre spitzen Pfötchen an sehr unangenehmen Stellen schmerzhaft in meinen Körper. Wenn sie bei meiner Beinkuhle angekommen war wurde der Platz erst einmal mit Milchtritten bearbeitet und ihre Krallen waren dabei deutlich zu spüren. Ich hielt den Schmerz aus bis sie Ruhe gab und sie auf mir einschlief. In den Wintermonaten konnte ich auch wieder lüften, denn Joy war es zu kalt und sie legte sich lieber vor den warmen Heizkörper, als zur offenen Tür hinauszuspazieren.

Ich fühlte mich jedes Mal wie eine Rabenmama, wenn ich sie alleine lassen musste und wieder länger als gewohnt nicht nach Hause kam. Es waren ihre Augen, die mich entscheiden ließen, dass ich eine zweite Katze adoptieren würde.