Der Tag der alles veränderte
Es war Ende Februar 2019. Die ersten Zugvögel kamen zurück. Joy wurde vom Gezwitscher immer öfters nach Draußen gelockt. Das kleine rote Kontrolllämpchen an der Katzenklappe leuchtete auf. Ein ganzes Jahr hatten die Batterien die Hochfrequentierung ausgehalten. Nun war es an der Zeit sie auszutauschen. Joy sah mir aufmerksam zu. Alles was ich tat fand sie interessant. Kaum war ich fertig, war sie auch schon wieder fort. Sie wollte nie etwas verpassen. Ich setzte mich auf das Sofa und faltete meine Werbezeitung auseinander. Das lockte Charly an und er erhaschte sich einen Teil des raschelnden Papiers. Seine Aufmerksamkeit wurde von anderen Dingen geweckt. Zum Beispiel fand er es äußerst spannend, wenn ich ein Kabel hinter mir herzog. Dann versuchte er es mit den Zähnen zu fangen. Das Spiel mit der Katzenangel liebte er auch. Ich brauchte mich nur auf dem Sofa auf den Bauch zu legen und zu der Ecke hinunterschauen wo der Korb mit den Spielsachen stand. Mit einem Satz lag er auch schon neben mir und lies seinen Kopf über den Sofarand hängen. So lagen wir dann nebeneinander und schauten nach unten. Wenn ich mir vorstellte, wie das wohl für jemanden aussehen würde, der uns so sah, musste ich lachen.

In letzter Zeit hatte ich immer wieder eine Maus in der Wohnung. Ich merkte es erst, wenn Joy und Charly das arme Tier eingekreist hatten und es sich nicht mehr verstecken konnte. Wenn ich das mitbekam, zog ich meinen Lederhandschuh an und nahm ihnen das geschwächte Tier weg. Manche Geretteten schafften es sich in Freiheit wieder zu erholen. Doch es kam auch vor, dass es am nächsten Tag tot auf meiner Terrasse lag. Eigentlich, dachte ich, sollten sich die Nager von meiner Wohnung fernhalten, wenn sie überleben wollten. Warum kamen sie trotz der Katzenwächter herein? Meine Frage sollte bald eine Antwort erhalten.
Ich schaute eines Abends fern. Die Katzenklappe war schon mehrmals bedient worden. Das geschäftige Treiben lenkte mich vom TV-Gerät ab. Als ich Joy durch die Katzenklappe eintreten sah, traute ich meinen Augen nicht. Im Maul hatte sie eine Maus und trug sie durch die Öffnung ins Wohnzimmer. Von Charly wurde sie begeistert in Empfang genommen. Noch bevor ich zu Joy gelangte, lies sie die Maus los, die sich sofort hinter dem hohen Schrank versteckte. Die beiden Mäusefänger setzten sich jeweils rechts und links des Schlitzes zwischen Schrank und Wand und lauerten. Was sollte ich jetzt tun? Warten bis die Maus sich aus ihrem Schlupfloch traute? Das könnte Stunden dauern. Also beschloss ich, den Schrank von der Wand wegzurücken. Ich hatte es mir schwerer vorgestellt, doch er ließ sich leicht auf dem Laminatboden verschieben. Kaum war die Spalte groß genug schlüpfte Joy hinter den Schrank und jagte die Maus aus ihrem Versteck. Am anderen Ende saß bereits Charly und stoppte sie. Ich ergriff die Gelegenheit die zitternde Maus zu fangen und zu befreien. Ich versperrte die Katzenklappe, damit Joy nicht mehr hinauskonnte. Ich hoffte, die Maus würde ihre Change ergreifen und entkommen. Gemütlich setzte ich mich wieder auf mein Sofa um den Film zu Ende zu schauen. Doch Joy wollte gar nicht nach Draußen, sondern benahm sich sehr auffällig neben dem TV-Board. Auch Charly schien ein Interesse daran zu haben. Er versuchte mit seinen Tatzen unter der Fernsehbank etwas herauszuangeln. „Oh Gott, noch eine Maus?“, dachte ich. Ich schob also auch dieses Möbelstück zur Seite und dahinter hockte ein verschüchtertes Mäuschen. Nach der gleichen Methode befreite ich auch dieses weitere Nagerchen. „Jetzt wird endlich Ruhe sein,“ dachte ich. Von wegen. Jetzt machten sich meine beiden Jäger am Sofa zu schaffen. „Bitte nicht!“ entfuhr es mir. Ich baute mein Schlafsofa auseinander und siehe da, darunter kauerte noch ein Mäuschen. Als auch Nummer drei von mir eingefangen und in Freiheit entlassen war, war auch mein Film zu Ende. Joy musste bei ihren Streifzügen auf ein Nest mit jungen Mäusen gestoßen sein und während ich in die Flimmerkiste schaute, in die Wohnung getragen haben. Als ich ins Bett ging lauschte ich noch lange, ob ich im Schlafzimmer etwas rascheln oder huschen hörte. Doch die Jagd schien vorbei und die Wohnung mäusefrei.

Wir Drei waren ein richtig tolles Gespann. Ich der Futterautomat und Pflegerin bei Unbefndlichkeiten. Joy die das Kommando gab und Leben in die Bude brachte und Charly, der sich zu mir am Abend aufs Sofa legte und sich durchknuddeln lies, wenn Joy einmal wieder keine Zeit für ihn hatte. Wenn ich einmal länger als sonst von zu Hause weg war, machte ich mir keine Sorgen. Joy kümmerte sich um Charly. Doch dann kam der Tag, der alles verändern sollte.

Es war Freitag, der 8. März und ich ging mit Freunden aus. Es war ein schöner, geselliger Abend und es wurde immer später. Es war schon Samstag sehr früh am Morgen als ich endlich nach Hause gefunden hatte. Joy saß in ihrem Bettchen vor der Heizung, zog ihre Stirn in Falten und sah mich streng an. So als wollte sie sagen: „Wo kommst du denn jetzt her?“ Charly hingegen war das egal seine Babysitterin hatte auf ihn aufgepasst. Joy lief in die Küche, aber ich sagte ihr, dass es noch zu früh zum Fressen wäre. Lange machte ich mir deshalb Vorwürfe. Wenn ich sie gefüttert hätte, wäre sie zu Hause geblieben? Um halbsechs wachte ich auf. Irgendetwas schien mir nicht in Ordnung. Ich hatte ein ungutes Gefühl. Ich stand auf und zupfte an der Schlaftasche auf dem Schrank. Doch sie war leer. Dann zog ich den Rolladen hoch. Bei diesem Geräusch wäre Joy sofort da gewesen um jetzt ihr Futter einzufordern. Doch sie erschien nicht vor der Terrassentür. Es war noch dunkel draußen und windig. Ich öffnete die Tür. Auch dieses Geräusch blieb erfolglos. Dann trat ich hinaus und schaute über die Hecke, die meine Terrasse umrandete. Mit meinen Augen tastete ich die Wiese die davorlag ab. Doch da war nichts und ich spürte Joy nicht mehr. Ich weiß nicht wie ich es erklären soll, aber da war nur noch ein dunkler Fleck in meinem Herzen und ich hatte eine schreckliche Vorahnung.
Als das Tageslicht hereinbrach machte ich mich auf die Suche. Ich rief ihren Namen, schaute unter jeden Busch. Lief durch das ganze Haus, in die Kellerräume zur Tiefgarage. Doch ich fand sie nicht. Der Wind entwickelte sich zu einem Sturm und ein starker Regen setzte ein. Mit der Hoffnung, dass sie sich deshalb nur irgendwo ängstlich verkrochen hatte unterbrach ich meine Suchaktion. Da Joy gechipt war meldete ich sie am gleichen Tag bei Tasso als vermisst und pinnte Plakate an die Bäume in der näheren Umgebung. Die nächsten regnerischen Tage verbrachte ich mit Hoffen und Bangen.

Tagelang blickte ich in jedes Fenster, ob meine Kleine irgendwo bei jemandem eingesperrt war. Eine liebe Nachbarin half mir bei der Suche. Bekannte und Freunde erzählten mir von ihren Katzen, die nach Wochen wieder nach Hause gekommen waren. Daran wollte ich festhalten. Tierheime, Tierarztpraxen und sogar die städtische Straßenreinigung bat ich um Mithilfe. Alles war vergebens und mein Gefühl sagte mir, dass ich sie nicht wiedersehen würde. Charly war sehr traurig. Er hielt Wache auf seinem Kratzbaum vor der Katzenklappe. Seinen Posten verließ er nur zum Fressen und wenn er zur Toilette musste. Manchmal streckte er seinen Kopf durch die Klappe und zog ihn wieder zurück, dass es laut schepperte. Das war wohl seine Art sie zu rufen. Das Geräusch machte mich ganz verrückt und ich stellte die Verriegelung so ein, dass es ihm nicht mehr möglich war. Ab und zu hörte ich Geräusche. Doch als ich nachsah war nichts zu sehen. Charly brauchte mich jetzt und für mich war es gut, dass er da war. Er half mir nicht ständig daran zu denken.

Am Anfang der Geschichte hatte ich von einem schönen männlichen Rotkehlchen erzählt, dass Joy gefangen hatte. Bevor meine Katzen da waren besuchte es mich regelmäßig auf der Terrasse. Deshalb war ich über seinen Tod sehr traurig gewesen. Es bekam seine letzte Ruhestätte unter meinem Buddha, der am Heckenrand meiner Terrasse sitzt. Seit Joys Verschwinden besuchte mich genauso ein Vogel fast täglich. Ich empfand es als Zeichen und als einen Himmelsgruß. Das Rotkehlchen schaute mir direkt in die Augen. Etwas später brachte es seine Frau mit. Inzwischen werden die Besuche des Vogelpaares seltener. Doch wenn ich denke: „Jetzt habe ich sie aber schon lange nicht mehr gesehen,“ kommt mich einer oder beide besuchen. Trotz all den Zeichen und Gefühlen, wollte ich die Hoffnung, dass Joy wieder nach Hause kommt, nicht aufgeben. Ich brauchte eine Bestätigung und überlegte mir was ich noch tun konnte um Gewissheit zu haben. Bis ich etwas über Tierkommunikation hörte…und ich bekam einen wertvollen Hinweis.