In der Vorweihnachtszeit geht es ja hauptsächlich ums Schenken. Man fragt und wird gefragt: „Was wünschst du dir denn zu Weihnachten?“ Kinder zu beschenken ist da wesentlich einfacher als Erwachsene. Die Großen brauchen entweder nichts oder haben schon alles. Während Kinderträume unerschöpflich sind.
So war das auch bei mir als ich klein war und an einen ganz besonderen Wunsch muss ich jedes Jahr zur Weihnachtszeit denken. Sie hieß Bärbel und ich hatte sie im Quelle-Katalog entdeckt. Ich war vielleicht sechs oder sieben Jahre. Genau weis ich es nicht mehr. Sie hatte mich von der bunten Hochglanzseite mit ihren strahlend blauen Augen angesehen und ab da wünschte ich mir nichts Sehnlicheres als sie. Außerdem war sie etwas ganz Besonderes, denn sie konnte sprechen. Als mich Oma dann fragte was ich mir denn wünschen würde, war mein großer Augenblick gekommen. Ich wuchtete den schweren Katalog auf den Tisch und bedeutete ihr mit glänzenden Augen meinen Herzenswunsch. „Die ist aber sehr teuer,“ stellte Oma fest. Über den Preis hatte ich mir gar keine Gedanken gemacht. Schließlich sollte sie mir ja das Christkind bringen und ich wusste nicht, dass das himmlische Wesen ein Weihnachtsbudget hatte. Als Oma mir meine Enttäuschung ansah, versuchte sie ihre Aussage zu entkräften: „Wenn du dir sonst nichts wünschst, dann kann es sein, dass es doch möglich ist.“ Heute würde man sagen: „Wenn Oma, Opa und die Eltern zusammenlegen dann kannst du die Puppe bekommen.“ Aber damals hatte man noch fest an das Christkind geglaubt. So fieberte ich also Weihnachten der großen Hoffnung entgegen, dass ich brav genug gewesen war um dieses Geschenk zu erhalten.

Der 24. Dezember war mit keinem anderen feierlichen Tag im Jahr vergleichbar. Aufregender als Geburtstag und Ostern zusammen. Der Christbaum wurde geschmückt und meine Schwestern und ich wurden ins Kinderzimmer geschickt. An diesem Tag durften wir auch nicht zu Oma und Opa, die im Erdgeschoß unter meinen Eltern wohnten, denn da wurde ebenfalls der Baum aufgebunden. Natürlich konnten wir uns an diesem Tag nicht auf das Spielen konzentrieren, denn unsere ganze Aufmerksamkeit gehörte dem Wohnzimmer und dem Schlüsselloch. Doch unsere Spionage flog stehts auf und wir rannten dann kichernd ins Kinderzimmer zurück.
Ich weis nicht mehr ob wir an diesem besagten Weihnachten auch vorher am Nachmittag bei meiner Tante gewesen waren. Ich kann mich aber erinnern, dass sie immer einen sehr großen, gutgewachsenen Tannenbaum mit echten, weißen Wachskerzen gehabt hatte. Eine alte Überlieferung behauptet ich hätte mich einmal lauthals bei ihr beschwert: „Immer bekomme ich etwas zum Anziehen,“ und wäre dabei theatralisch unter dem Baum zusammengebrochen. Ich glaube aber nicht, dass meine Verzweiflung gespielt war, doch die Erwachsenen hatten das immer sehr komisch gefunden und bis heute sorgt diese Geschichte noch für große Belustigung unter den Zeitzeugen.
Die Familientradition schrieb vor, dass zuerst bei den Eltern im 1. Stock das Christkind kam um dann im Erdgeschoß die zweite Bescherung fortzusetzen. Bei Oma gab es dann auch immer das alljährliche Weihnachtsmal, Würstle und Kartoffelsalat. Endlich wurde die Wohnzimmertür meiner Eltern für uns Kinder geöffnet. Der Raum duftete nach Tannennadeln und in den bunten Christbaumkugeln funkelte das Licht der roten Wachskerzen. Manchmal war es vorgekommen, dass bei der Streichholzzeremonie des Anzündens eine Kerze vergessen worden war und dann nachgebessert werden musste. Doch dieses Mal brannten alle. Bevor wir uns auf die Geschenke, die unter dem Baum drapiert waren, stürzen durften, mussten wir zuerst ein Weihnachtslied singen. Meine Augen wanderten während des Gesangs abtastend unter den Baum hin und her. Doch ich sah sie nicht. Wo war meine Bärbel? Hatte das Christkind doch tatsächlich mein Geschenk vergessen? Doch es saß eine kleine, blonde Puppe da und ich hatte mich schon mit diesem Trostpreis begnügt und wollte sie an mich nehmen, als meine Mutter mich streng ermahnt hatte: „Die gehört deiner Schwester!“ „Was gehört denn mir?“, fragte ich enttäuscht. Daraufhin deutete sie auf einen der drei gleichaussehenden, karierten Bademäntel. „Das ist deiner!“ Ein Drama bahnte sich an und ich muss wohl wieder schrecklich schluchzend zusammengebrochen sein. Davon weiß ich auch nur aus Überlieferungen. Ich selbst kann mich daran nicht mehr erinnern. Doch als ich mich wieder beruhigt hatte und wir drei Mädels mit unseren Bademänteln treppab zur Oma wanderten, hoffte ich dann doch noch auf eine angemessene Entschädigung. Die Puppe war wohl dem Christkind doch zu teuer gewesen.
Als wir unten angekommen waren, durften wir sofort in die Wohnstube. Der Kohleofen strahlte eine heimelige Wärme aus und wir Kinder wurden angehalten wieder ein Lied zu singen. Opa schmetterte sein Lieblingsweihnachtslied -Stille Nacht- und als die letzte Strophe verstummte, durften wir unsere Geschenke holen. Ich ging zum Baum und ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen. Gut versteckt hinter der Tanne stand sie und strahlte mich an. Meine Bärbel. Nun hatte ich auch Tränchen in den Augen, aber dieses Mal vor Freude. Ich drückte meine Puppe fest an mich. Die Erwachsenen, die mich zuerst ganz schön hinters Licht geführt hatten, lachten. Noch heute denke ich, dass meine Ohnmachtsanfälle bühnenreif gewesen sein mussten. Welcher Grund hätte sie sonst dazu veranlassen sollen, meinem Kinderherzchen, noch dazu an Weihnachten, diesen Schmerz zuzufügen. Aber als ich Bärbel im Arm gehalten hatte, war der Kummer rasch vergessen und ich zog den ganzen restlichen Abend an der Schnur, die sich an ihrem Rücken befand und das Band in ihrem Körper abspielte. An einen Satz kann ich mich bis heute noch sehr gut erinnern. Sie sagte: „Gib mir einen Kuss.“ Sie war auch sehr höflich und wünschte einen Guten Appetit. Die Technik der Spielzeuge waren noch nicht sehr ausgereift gewesen und deshalb waren die Sätze nicht steuerbar. Es war aber immer wieder spannend was Bärbel unpassendes plauderte und am Morgen eine „Gute Nacht“ wünschte.
Bärbel war sehr lange Zeit meine beste Zuhörerin gewesen und wenn sie nach einem Kuss verlangte, bekam sie ihn auch. Nach ein paar Jahren des strickchenziehens zerriss dieser und ich war sehr traurig. Doch irgendwann fühlte ich mich zu groß um noch mit Puppen zu spielen. Bärbel wanderte vom Sofa in den Kleiderschrank und eines Tages verschwand sie ganz aus meinem Leben. Leider kann ich mich nicht mehr erinnern was wir mit ihr gemacht haben und wohin sie gegangen ist. Doch an Weihnachten denke ich immer an sie. Ein bisschen hat es auch mit der christlichen Weihnachtsgeschichte zu tun. Da haben Maria und Josef auch erst verzweifelt nach einer Herberge gesucht und vielleicht ist auch Maria entkräftet zusammengebrochen, bis sie und Josef endlich eine Unterkunft gefunden hatten und sie das Jesuskind zur Welt bringen konnte um es liebevoll in ihre Arme zu schießen.
Weihnachten ist und bleibt für mich das Fest der Liebe. Natürlich komme ich nicht ohne Geschenke zu meiner Familie, da wären vor allem die Kinder sehr enttäuscht. Ich hoffe nur, dass das Konsumverhalten unserer Gesellschaft nicht das verdeckt, was wirklich wichtig ist.