Was ist nur mit Charly los?

Rückzugsort

In letzter Zeit verbringt Charly die meiste Zeit im fensterlosen Badezimmer auf der Waschmaschine. Er schläft lange in einem Bettchen, das ich ihm dort oben extra, nachdem er so oft auf der kahlen Waschmaschinenablage gelegen hatte, bereitgestellt hatte. Diesen Rückzugsort nimmt er in Anspruch, wenn es ihm mal nicht so gut geht, oder sich vor irgendetwas ängstigt. Er gehört zu der Sorte Katze, die sich eher in sich zurückziehen, einkuscheln und schlafen und nicht zu denen, die sich an ihren Menschen wenden, wenn sie sich nicht wohl fühlen. Außer es geht um Futter und eine schmutzige Toilette, dann meldet er diesen Mangel sehr deutlich. Ich machte mir also Sorgen und ob es etwa mit seiner Krankheit zusammenhängt, dass er sich so selten bei mir blicken lässt.

Atemfrequenzmessung

Also suche ich ihn eben öfters im Bad auf, um ihn zu streicheln und gut zuzureden. Das findet er auch ganz toll und er rekelt sich und streckt mir schnurrend seinen Bauch entgegen. Dies ist bei Charly nicht als Abwehr zu deuten, sondern als „kraul mich“. Außerdem ist er keine Kratzbürste und sehr sanft. Bei den Krauleinheiten braucht man sich nicht zu fürchten, dass seine Laune plötzlich umschwenken könnte. Zum Badezimmerbesuch gehört auch, dass ich ihm täglich seine Atemfrequenz messe. Das dient zur Beobachtung, ob sich Wasser in seiner Lunge angesammelt hat. Wie misst man eine Atemfrequenz? Ganz einfach: Wenn er sich im Ruhezustand befindet beobachte ich seine Bauchdecke, die sich bei jedem Atemzug hebt und senkt. Dabei wird jedes Heben gezählt. Normalerweise zählt man zehn Sekunden und rechnet das dann auf eine Minute hoch. Weil ich aber in der Beziehung nicht über Multitasking verfüge und nicht gleichzeitig die Bauchdecke und die Uhr im Auge behalten kann, habe ich mir eine App auf mein Smartphone geladen. Es handelt sich zwar um den „Atemfrequenz-Messer für Hunde“ aber das macht keinen Unterschied. Bei Hunden wie bei Katzen gelten die gleichen Richtwerte und die sollten 30 Atmungen in der Minute nicht überschreiten. Darüber wird es kritisch und der Tierarzt sollte kontaktiert werden. Bei Charly liegt der Wert durchschnittlich bei 24. Also alles noch im grünen Bereich. Trotzdem machen ihm seine Krankheitssymptome gerade mehr zu schaffen als sonst. Das verraten mir seine Augen. So gerne würde ich dem Geplagten sein Leid mildern, doch manche Dinge muss man akzeptieren und annehmen wie es ist, auch wenn es schwerfällt. Er jedenfalls hat sich mit seinem Schicksal gut arrangiert.

Charly hat Angst

Doch sein Rückzug ist nicht der einzige Grund. Ich stellte fest, dass sobald ich die Wohnung verlasse, marschiert Charly ins Bad, so als ob er sich in Sicherheit bringen wolle. Ich beobachte auch, dass er bei Geräuschen aus unserem Umfeld mehr lauscht. Oft erschrickt er und zuckt zusammen, auch wenn hinter ihm nur etwas ganz leise hörbar ist. Das kenne ich gar nicht an ihm. Normal ist er immer relaxt, denn bei uns ist es immer ruhig. Irgendetwas muss während einer meiner Abwesenheiten passiert sein. Aber was? Ist jemand an unserer Tür gewesen? Ich habe das Gefühl, dass er sich im Wohnzimmer und im Schlafzimmer nicht mehr so sicher fühlt wie normal. Seine Lieblingsplätze dort besucht er nur noch, wenn ich da bin. Was hat sich verändert? Ich habe die Terrasse in Verdacht, denn die beiden Räume verfügen jeweils über einen Zugang zu ihr. Hat ihn da draußen jemand oder etwas erschreckt?

Bekanntschaft mit dem Übeltäter

Schon oft habe ich festgestellt, dass wenn man um eine Antwort bittet, diese auch bekommt. So wie heute. Ich war gerade in der Küche und Charly saß im Schlafzimmer vor der Terrassentür, die ich zum Lüften geöffnet hatte. Plötzlich schlich er sich in geduckter Haltung an mir vorbei ins Badezimmer. „Was ist denn Bubi? Vor was hast du Angst?“, habe ich ihn gefragt und ging dorthin wo er gerade herkam. Und siehe da eine Katze oder ein Kater, das Geschlecht konnte ich bei der kurzen Begegnung nicht erkennen, glotzte zur Terrassentür herein. Vermutlich wäre sie oder er auch hereinspaziert, wenn ich nicht um die Ecke gekommen wäre. Die grauweiß gescheckte Katze war mir bekannt. Ich habe sie schon öfters über die Terrasse huschen sehen und sie gehört irgendjemandem aus der Umgebung. Sie war es also, die meinen Charly so verängstigt hat. Vielleicht hat sie, wenn ich nicht da war, ihre Nase an unsere Scheiben gedrückt. Mein kleiner Schisser saß also mit weiten Pupillen auf der Waschmaschine, obwohl der Eindringling sich schon lange verdünnisiert hatte. Auch das Schließen der Tür und gutes Zureden nützte nichts ihn davon zu überzeugen, dass die Gefahr vorbei war. Ich nahm ihn also auf den Arm. Normalerweise mag er das nicht und lässt sich nur unter Protest ein kurzes Stück tragen. Doch heute verhielt er sich mucksmäuschenstill. Ich trug ihn also zum Terrassenfenster und zeigte ihm, dass da niemand mehr ist. Es hat eine Weile gedauert, bis er sich mit Ohren und Nase davon überzeugt hatte, dass er mir glauben kann. Trotzdem war er erst einmal vorsichtig. Aber er ging nicht mehr ins Bad zurück, sondern sprang zu mir auf das Sofa und dankte mir mit Kopfstößchen und an mich kuscheln, dass ich den Feind vertrieben hatte.

Es ist schön, ihn wieder ganz entspannt auf dem Sofa liegen zu sehen.

Eure Ela mit Charly