Tiergesichter

Früher, als ich noch einen Hund hatte, dachte ich, ich könnte nur deren Mimik lesen und verstehen. Dabei muss ich mir heute eingestehen, dass ich diesem Ausdrucksspiel viel zu oft menschliche Eigenschaften hineininterpretiert habe. Ein Tier kennt keinen Neid oder ist auch nicht beleidigt. Es ist weder arrogant noch tolerant. Für ein Tier gilt das Gesetz des Überlebens. Es ist hungrig, durstig oder paarungsbereit. Trotzdem fühlt ein Tier ähnlich wie ein Mensch. Es kann glücklich und zufrieden sein oder ängstlich und traurig. Ich möchte sogar behaupten, dass ein Tier lieben und auch hassen kann. Wobei dieses auch wieder daraus resultiert was das Tier für Erlebnisse mit Menschen hat oder hatte.

Heute begegnete ich einer Frau auf dem Rad, ihr Hund rannte vorneweg. Sie kam aus einem Waldweg und ihr Vierbeiner sollte, bevor sie auf die breitere Straße einbog, auf sie warten. Sie rief ihn, aber er blieb nicht sofort stehen, also rief sie lauter und dann noch lauter. Dann sagte sie: „Das ich immer so laut schreien muss!“

Nein, muss sie nicht! Schreien ist eher kontraproduktiv und hat denselben Effekt, wie wenn man einen Menschen anbrüllt. Sie müsste lernen seine Mimik und Gestik zu lesen. Das Gesicht dieses Hundes hat mir verraten, dass er nur als erster an der Straße sein wollte, um auf sein Frauchen aufzupassen. Dass das eigentlich ihr Job ist, auf ihn aufzupassen, hat er ihr wohl nicht ganz zugetraut und ihr erregtes Schreien, hat ihn in seiner Tat eher bestärkt.

Katzen haben viele Gesichter

Das es aber auch sehr spannend sein kann, das Gesicht einer Katze zu lesen, haben mir meine eigenen Stubentiger beigebracht. Mein Kater Charly verfügt über mehrere Ausdrucksformen, über die ich mich teileweise köstlich amüsieren kann. Er kann mich aber auch verwirren, indem er sich vor mich hinsetzt, mich mit großen Augen und einem gekonnt auffordernden Blick anschaut und sich mir dabei sofort die Frage aufdrängt, was er denn jetzt von mir möchte. Seine Wünsche sind banal. Sie bedeuten spiel mit mir, kraul mich oder ich bin hungrig. Trotzdem muss ich das Richtige tun, um ihn zufrieden zu stellen. Sein Gesichtsausdruck erreicht jedenfalls immer sein Ziel. Nämlich mich mit seinen Bedürfnissen zu beschäftigen.

Ist die Katze zufrieden, freut sich der Mensch

Ist sein Anliegen erfüllt setzt er seinen zufriedenen Blick auf. Meistens liegt er dabei auf dem Rücken oder auf der Seite, kneift die Augen zusammen und ist absolut tiefenentspannt. Seine Mundwinkel sind nach oben gezogen und es scheint als ob sein Gesichtchen lächeln würde. Bei längerem Betrachten, überträgt sich diese Zufriedenheit auch auf mich.

Charly kann mit offenen Augen träumen. Sein gläserner Blick verrät mir dann, dass er nicht anwesend ist. Ich gewinne dann den Eindruck, als würde er durch alle Materie hindurchschauen und etwas sehen können, was meinen Augen verborgen bleibt.

Können Katzen nachdenken?

Manchmal sieht es jedenfalls bei ihm so aus. Denn wehe, wenn ich in der Wohnung etwas umgestellt habe, oder es ist irgend etwas anders als sonst, dann bekommt er den studierenden Blick. Er schiebt seine Augenbrauen nach vorne und es entsteht eine Denkerstirn. Über diesen Ausdruck könnte ich mich jedes Mal köstlich amüsieren, weil er mich dann an Theo Weigl erinnert.

Wahre Zuneigung

Am schönsten ist es, wenn ich ihn dabei ertappe wie er versucht in meinem Gesicht zu lesen. Manchmal sitzt er neben mir und wenn ich nach ihm sehe, erwische ich ihn, wie er mich von der Seite visitiert. Unsere Blicke, die sich dann treffen sind so allessagend und sie berühren mich in meinem Herzen. Ich versuche ihm zurückzusenden, was ich in diesem Moment empfinde. Dieser Augenblick sagt mehr als tausend Worte.

Wenn es Charly nicht so gut geht, verbirgt er sein Gesicht indem er sich verkriecht oder mir den Rücken zuwendet. Ich denke es gehört zu seiner Art dies nicht sofort zu zeigen.

Ich könnte ihm jedenfalls stundenlang in sein ausdrucksstarkes Gesicht sehen.

Eure Ela