Mein Held in Fellhosen

Wochenlang wartete Charly auf seinem Kratzbaum, der neben der Katzenklappe steht, auf Joy. Manchmal lauschte er und drehte seine kleinen Knicköhrchen in die Richtung in der er das Geräusch versuchte ausfindig zu machen. Die Redewendung -seine Ohren spitzen- wäre in seinem Fall nicht zutreffend, denn das ist ihm leider anatomisch nicht möglich. Scottish Fold‘s sagt man nach, dass sie wegen der verkrümmten Ohren schlecht hören würden. Doch ich habe festgestellt, dass er sehr gut hört, wenn er will. Nur schwer lies er sich mit der Katzenangel oder einem anderen Spielzeug aus seiner Habachtstellung ablenken. Er hielt Wache. Seinen Posten verlies er nur wenn er hungrig oder durstig war. Ich stellte mich also neben den Kratzbaum um ihn mit Streicheln zu trösten. Charly ist ein Schnurrkater, der bei der kleinsten Berührung wie ein Motor anspringt. Ich war froh, dass er trotz seiner Trauer schnurrte und sich unter meiner Hand räkelte. Er ist ein kleiner Genießer, der sich gerne den Bauch kraulen lässt. Wenn ich so neben ihm stand und aus dem Fenster sah, blickten meine Augen ins Leere. Aber mit meinem inneren Auge sah ich Joy.

Nach einer gefühlten Ewigkeit fing Charly an, seinen Kratzbaum am Abend zu verlassen um sich auf dem Sofa an mich anzuschmiegen. Das tröstete uns beide und ich war froh, dass er da war. Wenn ich morgens zur Arbeit ging, legte ich ihm meine Wollweste auf die Couch, in die er sich hineinkuschelte und stundenlang schlief. Nach meiner Rückkehr lag er meistens immer noch zusammengekringelt auf meiner Weste. Bis der Tag kam, an dem er sie nicht mehr brauchte. Alleine sein war er eigentlich gewohnt, da Joy sehr viel unterwegs war. Zum Schlafen kam sie jedoch immer nach Hause oder sie schlief auf der Terrasse, da war sie aber auch in seiner Nähe. Jetzt war keine große Schwester mehr da, die seinen Tagesrhythmus bestimmte. Charly musste lernen sein Leben selbst in die Pfote zu nehmen. Das gelang ihm erstaunlich gut und ich bemerkte, dass er langsam anfing sich an mir zu orientieren. Früher hatte er die Kommunikation mit mir seiner Dolmetscherin überlassen. Doch jetzt musste er sich selbst verständlich machen. Seine pipsigen Laute entwickelten sich zu einem ausgeprägten Maunzen. Er fand heraus, dass ich darauf sofort reagiere. Ebenso wenn er mit eingezogenen Krallen am Schrank schabbelte. Ein schreckliches Geräusch.

Die Zeit vergeht so schnell und es ist schon ein halbes Jahr her, seit unsere Freundin nicht mehr da ist. Für Charly wieder einen Kameraden(in) nach Hause zu holen habe ich inzwischen zu den Akten gelegt. Wie es ist, ist es gut. Diese Botschaft hat mir auch Joy bei der letzten Tierkommunikation überbringen lassen. Meine gescheite Maus, wie Recht sie doch hat. Mit Charlys Gesundheit stand es in letzter Zeit nicht zum Besten und da hätte ich mich nicht richtig um eine(n) neue(n) Mitbewohner(in) kümmern können. Außerdem stelle ich mir eine Zusammenführung mit einer anderen Katze nicht ganz einfach vor. Sein Magen-Darm-Trakt war in Unordnung geraten. Ich fühlte sein Unbehagen, konnte aber nicht genau sagen was ihm fehlte. Eine Tierheilpraktikerin half mir Licht ins Dunkel zu bringen. Die Therapie, die sie ihm verordnet hat schlägt sehr gut an und es geht ihm jetzt anhaltend gut. Er hat ein bisschen Speck verloren und zu seiner lebenslustigen Neugierde zurückgefunden. Immer öfter fordert er mich zum Spielen auf. Nur sein geliebtes Trockenfutter, das ich leider absetzen musste, fehlt ihm. Zum Zeichen, dass er das nicht in Ordnung findet, schabbelt er wieder am Schrank. Meistens werde ich dann weich und gebe ihm ein paar Stückchen. So wird das aber leider nichts mit der Abgewöhnung. Wahrscheinlich brauche ich selbst eine Charly-Geräuschabhärtungs-Therapie. Alles braucht eben seine Zeit, aber ich denke wir schaffen das.

Charly hat nicht nur einen Namen. Ich nenne ihn auch: mein Bubi, mein Spatzel oder du Held (manchmal nenne ich ihn auch Dickköpfle oder du Luggi du verhauter,- das ist bayrisch und schwer zu übersetzen). Sicher werden sie sich jetzt fragen, warum ich Charly einen Helden nenne. Schließlich hat er doch gar keine heldenhaften Taten vollbracht. Er hat weder einen Einbrecher mit seinen scharf gespitzten Dolchen in die Flucht geschlagen in dem er ihm mit einem Sprung das Gesicht zerkratzte, noch hat er mich eines nachts geweckt und vor einem in der Nachbarschaft ausgebrochenen Feuer gewarnt. Ich bin auch nicht ohnmächtig in der Wohnung zusammengebrochen, so dass er durch einen Spalt an der Tür, die ich mit allerletzter Kraft noch öffnen konnte, geschlüpft war und im Treppenhaus so laut miaute, dass ein Anwohner aufmerksam geworden war. Zum Glück musste Charly seine Supercat-Kräfte bisher nicht unter Beweis stellen und ich hoffe, dass das auch nie notwendig sein wird. Doch schon öfters wurde über tapfere Tiere berichtet, wo es sich tatsächlich so zugetragen hatte und ihren Menschen gerettet hatten. Charly ist jedoch für mich ohne besondere Taten „mein Held“. Einfach so. Wenn er neben mir auf dem Sofa mit diesem einzigartigen, besonderen und vielsagenden Blick direkt in meine Augen schaut, dann wünschte ich mir, dass ich nicht zu müde wäre um in das Ritual der Tierkommunikation einzusteigen um vielleicht zu erfahren was er gerade denkt. Aber eines ist für mich sicher. In diesen Momenten bin ich seine Heldin.