Damian

Wenn das Eis bricht

Ich hatte die Hoffnung bereits aufgegeben, dass sich die schwarz Katze jemals von mir einfangen lassen würde. Doch meine Geduld wurde belohnt.

Nachdem wir uns durch Leckerlies bereits etwas nähergekommen waren und ich sie schon einmal anfassen durfte, gab ich meinen Plan noch nicht auf. Der Wunsch mehr von ihr zu erfahren, keimte in mir und Blackys Zutrauen wuchs täglich. Eines Morgens setzte ich mich mit einem Leckerchen lockend auf meinen kunststoffblauen Terrassenstuhl. Nachdem sie es aus meiner Hand gefressen hatte, wälzte sie sich genüsslich vor mir auf dem sonnenwarmen Boden und ich konnte endlich erkennen, dass sie ein Junge war. Am Abend wiederholte ich die Handfütterung, aber setzte mich dazu auf den Betonsockel vor der Terrassentür. Sofort kam er angerannt. Nachdem er das getrocknete Stängelchen gefressen hatte, beschnupperte er meine Hand und schaute mich auffordernd an, ihm noch eines zu überlassen. Ich ging also wieder zurück in die Küche um für Nachschub zu sorgen. Dabei bemerkte ich, dass er mir ein Stück gefolgt war, aber sofort wieder umdrehte, als er mich zurückkommen sah. Nach dem er das Zweite auch verputzt hatte, legte er seine Pfote auf meinen Schenkel. „Danke,“ sollte das wohl heißen. Er blieb noch eine ganze Weile bei mir, strich um meine Beine und rieb seine Backe an der Terrassenbank. Dann durfte ich ihn zum ersten Mal streicheln und er fand das so schön, dass er sein Köpfchen ganz fest in meine Hand zum Kraulen drückte. Das Eis war gebrochen.

Zuneigung

Von diesem Augenblick an wurde er immer mutiger. Am Abend, während Charly auf dem Esstischstuhl schlief, inspizierte er das Wohnzimmer. Vorsichtig setzte er zuerst ein Pfötchen nach dem anderen in den Raum und sah mich mit weiten Augen an. Ich erwiderte sein Blinzeln, das in Katzensprache so viel wie ‚ich mag dich‘ bedeutet. Er beschnupperte den Kratzbaum, Charlys Katzenhöhle und schleuderte eine Spielmaus quer durchs Zimmer. Danach rannte er wieder durch die geöffnete Tür in die gewohnte Freiheit. Ich spürte eine wachsende Verbindung zwischen uns, die meinen Plan nach seinen Besitzern zu suchen, gefährdete. Da er auch die angrenzenden Nachbarterrassen regelmäßig aufsuchte, sah ich ihn oft stundenlang nicht. Als er jedoch einmal über einen Tag nicht kam und ich mir schon Sorgen machte, schlüpfte er ausgehungert und voller Spinnweben, durch die grüne Terrassenabgrenzung. Danach verlies er die Terrasse zwei Tage nicht mehr. Hungergefühle bekundete er mir indem er sich vor seinen Essplatz setzte, oder sein Näschen an die Terrassentür presste und nach mir Ausschau hielt. Neugierig, woher ich seine Nahrung beschaffte, lief er mir zur Küche hinterher und spitzelte um die Ecke. Charlys Akzeptanz hielt sich nach wie vor in Grenzen, doch er duldete es, wenn ich Blacky fütterte und streichelte. Aber wehe es wurde zu viel, dann wurde aus meinem freundlichen Vierbeiner Grumpy Cat.

Liebe

Es regnete schon den ganzen Tag und Blacky rührte sich nicht aus seinem Kuschelbett unter dem Terrassentisch heraus. Da es auch ziemlich abgekühlt hatte, lud ich ihn ein sich ein bisschen in der Wohnung aufzuwärmen. Ich setzte mich auf mein Bett im Schlafzimmer und er nahm die Einladung danken an. Mit einem Satz sprang er zu mir und bearbeitete mit Milchtritten die kuschelige Überwurfdecke. Dann fing er an mit mir zu schmusen und ich durfte ihn zum ersten Mal in den Arm nehmen und an mich drücken. Es gefiel ihm, dass ich ihn auch wieder gehen ließ, wenn er es wollte. Wir hatten viel Spaß an diesem Nachmittag, aber ich war auch ein bisschen traurig, denn die Zeit war gekommen ihn überprüfen zu lassen.

Führsorge

Ich vereinbarte einen Termin mit meiner Tierärztin und hoffte, dass er sich an diesem Tag auch von mir hochnehmen lassen würde. Aber warum sollte er sich weigern, es gab für ihn keinen Grund mir nicht zu vertrauen. Es war Donnerstag der 06.08.2020 als ich ihn in die Transporttasche steckte. Seine Verwirrung war deutlich zu spüren, aber er verhielt sich während der Fahrt auf dem Rad ruhig und beobachtete aufmerksam wohin ich ihn bringen würde. In der Praxis angekommen hörte ich keinen einzigen Laut von ihm und dachte mir, dass er diese Prozedur wohl kannte. Die Untersuchung ließ er ohne Abwehr über sich ergehen. Doch er hatte große Angst. Als die Tierärztin ihn aus der Box nehmen wollte krallte er sich verzweifelt an der Decke fest. Ich berichtete der Ärztin alles was ich bisher mit Blacky erlebt hatte, während sie ihn abtastete. Die Veterinärin meinte, dass er Würmer haben könnte, weil sein Bauch etwas dick wäre. Doch ich dachte eher, dass ich ihn zu gut gefüttert hatte. Auch ein paar weiße Punkte am Kopf diagnostizierte sie als Zeckenbisse oder einen möglichen Pilzbefall. Das er ein Junge war, wusste ich bereits aber jetzt erfuhr ich auch das er kastriert war. Ich ahnte, dass so ein gut versorgter Kater sicher ein Zuhause haben musste. Meine Vermutung wurde bestätigt, als das Chipgerät eine Nummer anzeigte. „Er gehört zu jemandem,“ sagte ich zur Ärztin und wusste nicht, ob ich nun erleichtert oder traurig war.

Zusammenführung

Mit der Chipnummer und gemischten Gefühlen radelte ich mit Blacky auf dem Gepäckträger wieder nach Hause. Einerseits freute ich mich, dass er ein Zuhause hatte, aber andererseits vermisste ich ihn jetzt schon. Ich hatte mich inzwischen daran gewöhnt, dass er auf meiner Terrasse lebte.

Zu Hause angekommen öffnete ich die Transporttasche vor der geöffneten Terrassentür und wollte ihn mit sofortiger Freiheit belohnen. Ohne mich eines Blickes zu würdigen rannte er davon. Aber ich war mir ziemlich sicher, dass er bei knurrendem Magen wieder erscheinen würde. Gleich setzte ich mich an mein Notebook und gab bei Tasso die Chipnummer ein. Tatsächlich war er registriert und heißt Damian. Nicht lange danach, als ich meine Personalien bei Tasso eingegeben hatte, meldete sich die freudig, überraschte Tierbesitzerin. Sie konnte es nicht glauben, dass er wieder aufgetaucht war. Nach einem Gespräch stellte sich heraus, dass Damian bereits seit einem Jahr vermisst wurde. Im August 2019 war die Familie des Katers hierhergezogen und Damian war vom Balkon gesprungen. Da er sich noch nicht auskannte, hatte er auch nicht nach Hause zurückgefunden, denn eigentlich wohnen die Besitzer gar nicht so weit von mir entfernt. Ein Jahr hatte sich der kluge Kerl alleine durchgeschlagen. Eine unglaublich lange Zeit war er auf sich gestellt gewesen, bis er meine Terrasse gefunden hatte. Es war sehr schön mehr über ihn zu erfahren. Ich wusste nun, dass er schon sieben Jahre alt ist und ein halber Teil Siamkatze in ihm steckt. Die Schlauheit hatte er wohl von dieser Rasse geerbt.

Doch jetzt war er erst einmal verschwunden und ich musste die Besitzer vertrösten bis er wieder zurückkehren würde. Ein paar Stunden später war er auch wieder da und ich rief sofort bei den Leuten an. Zehn Minuten später standen sie in meinem Wohnzimmer und ich zeigte durchs Fenster auf den Abtrünnigen. „Ja, das ist der Bub! Das ist sein Gesicht,“ sagte die junge Frau zu ihrem Vater, der sie begleitete und ich freute mich mit ihr.

Enttäuschung

Keiner von uns hatte mit dieser Reaktion von Damian gerechnet. Blauäugig glaubte ich, dass er mit einem Leckerchen sofort wieder zu mir kommen würde. Doch er war bitter enttäuscht. Der Ausflug zum Tierarzt war aus seiner Sicht unzumutbar für ihn gewesen. Ich kam mir vor wie eine Verräterin, als er sich umdrehte und wegrannte. Die Besitzerin versuchte ihn zu rufen, aber entweder wollte er nicht mehr hören oder er wusste nicht wie es früher einmal geklungen hatte, als er gerufen wurde. Eine Weile unterhielt ich mich noch mit den Beiden, die ihre mitgebrachte Transportbox nun nicht mit ihrem vermissten Kater bestücken konnten. Es tat mir unendlich leid, aber die Reaktion von Damian erschien mir verständlich und ich erkannte, dass der Fehler bei mir lag. Ich hätte ihn nach dem Tierarzt nicht aus der Tasche lassen dürfen. Ich vereinbarte, dass ich ihn jetzt erst einmal in Ruhe lasse und zu einem späteren Zeitpunkt versuchen würde wieder sein Vertrauen zu gewinnen, um ihn in die mitgebrachte Transportbox zu stecken. Später tauchte Damian zwar auf, aber wenn ich in seine Nähe kam, verschwand er sofort wieder durch die Hecke ins Grüne um sich irgendwo in einer Ecke oder auf der Nachbarterrasse vor mir zu verstecken. Nicht mal mit einem Leckerchen war er zu bestechen.

Am nächsten Morgen als ich das Rollo öffnete, lag er an seinem gewohnten Schlafplatz und schaute mich fragend an. Aber das Vertrauen war futsch. Alles wieder von vorne und bei null anfangen? Sein Futter hatte er angenommen, aber ich wurde mit Verachtung gestraft. Ich vereinbarte mit den Besitzern eine Schonfrist übers Wochenende. Sollte er sich bis Montag nicht wieder eingekriegt haben, müssten wir uns eine Lebendfalle vom Tierheim besorgen.

Misslungene Übergabe

Überraschenderweise hatte mir Damian am Sonntagmorgen bereits wieder verziehen. Ich holte ein Leckerchen aus der Küche und raschelte mit dem Papier. Er spitzte die Ohren, denn das Geräusch versprach etwas Positives. Ich versuchte mich ganz normal zu verhalten und mir mein Vorhaben, ihn erneut in eine Box zu stecken, nicht anmerken zu lassen. „Wie falsch wir Menschen doch sind. So könnte ein Tier niemals sein,“ dachte ich. Als er sein Gutti aufgegessen hatte und an meiner Hand schnupperte, ergriff ich die Gelegenheit und nahm ihn auf den Arm. Im Schlafzimmer hatte ich bereits den Transportbehälter bereitgestellt. Er sträubte sich und spreizte seine Vorderpfoten weit auseinander und ich hatte alle Mühe ihn in die Box zu bekommen. Doch ich schaffte es. Mein Mitgefühl war groß und ich wollte ihn so schnell wie möglich wieder aus seinem Gefängnis entlassen können. Deshalb legte ich mir den Plan zurecht, dass ich loslaufe und unterwegs die Besitzerin anrufe. Leider kannte ich nur die Straße in der die junge Frau wohnte und hatte keine Hausnummer. Doch in der Nähe der Straße befindet sich ein Supermarkt und da ich sowieso noch nicht gefrühstückt hatte, erschien mir der Platz als ein ausgezeichneter Übergabeort. Ich marschierte mit Damian los. Als ich in der Nähe des Supermarktes war, rief ich an. Doch niemand nahm ab. Nur die Mailbox forderte mich auf eine Nachricht zu hinterlassen. Hatte ich schon wieder einen Fehler begangen, als ich von einer ständigen Erreichbarkeit der Besitzerin ausgegangen war? Als ich beim Supermarkt ankam, kaufte ich mir ein Frühstück und setzte mich an einen Tisch im Freien. Damian beobachtete aufmerksam die angebundenen Hunde vor dem Eingang. Eine Hundehalterin blieb vor uns stehen und fragte mich welche Farbe Damians Augen hätten. Wir unterhielten uns. Inzwischen war es bereits fast halbelf geworden und ich hatte es schon ein paarmal probiert die Besitzerin zu erreichen. Ich wusste mir keinen Rat und machte mich, nachdem ich gefrühstückt hatte, mit Damian wieder auf den Heimweg. Ich war enttäuscht und wütend und ich verspürte immer weniger Lust Damian nochmals so einer Prozedur auszusetzen.

Zu Hause hob ich Damian vorsichtig aus der Box. Nahm ihn auf den Arm und entschuldigte mich bei ihm für die Unannehmlichkeiten. Als ich ihn im Schlafzimmer auf den Boden setzte, wollte er natürlich sofort wieder nach draußen und ich erfüllte ihm seien Wunsch. Kurz vor zwölf erhielt ich den Rückruf der Besitzerin. Sie entschuldigte sich vielmals, dass sie ihr Handy nicht gehört hatte. Auch meine Geduld war auf eine harte Probe gestellt worden und mit meiner Ausdauer stand es jetzt auch fünf vor zwölf.

Wieder vereint

Am Nachmittag schlief Damian unter der schattenspendenden Hecke neben Joys Gedenktafel. Das war einer seiner Lieblingsplätze an heißen Tagen. Ich testete ob er weglaufen würde, wenn ich zu ihm gehe. Doch er blieb unbeeindruckt liegen. So ergriff ich die neue Chance. Aber vorher, weil man aus Fehlern lernt, rief ich bei den Besitzern an. Ich fragte, ob jetzt jemand Zeit hat Damian abzuholen, wenn ich ihn wieder in die Box bekommen würde. Es wurde mir bestätigt, dass es dieses Mal klappen würde. Ich atmete tief ein und aus und betete, dass er sich von mir nehmen lassen würde. Da er sich scheinbar inzwischen an das Spielchen gewöhnt hatte und sich sicher war, dass ich ihn nur spazieren tragen würde um ihn dann wieder bei mir frei zu lassen, durfte ich ihn hochnehmen und in die Box stecken. Zum Abschied drücke ich ihn noch einmal ganz fest an meine Brust. Ich fühlte wie ein Züchter, der sein Welpe abgibt mit der Hoffnung, dass er gut behandelt werden würde. Fünf Minuten nach meinem Anruf war die junge Frau da. Dankbar nahm sie Damian entgegen und ich sagte ihr, dass sie ihn zurückbringen kann, wenn er das so möchte. Der Abschied war dann doch einfacher für mich als ich dachte. Die Sorge wie und ob sich Damian und Charly je vergesellschaften lassen würden fiel von mir ab. Ich wünschte Damian, dass er sich schnell wieder bei seiner Familie einlebt und für den Winter ein kuscheliges Plätzchen hat, ohne dass er von einem eifersüchtigen Artgenossen böse angestarrt wird.

Tierkommunikation

Ich möchte Euch das Gespräch, das ich mit Charly am 21.06.2020 hatte, nicht vorenthalten. Zu dieser Zeit dachte ich noch, dass Damian ein Mädchen wäre. Charly wusste es besser und ich schreibe nachstehend einen Auszug aus diesem Gespräch.

Ich: Hallo mein Lieber, schön dass du da bist. Sprechen wir ein bisschen?

Charly: Ja. Super. Ich freu mich. Ich warte schon so lange darauf.

Ich: Ich weiß. Entschuldige, dass ich mich nicht traue.

Charly: Du darfst dich trauen. Du kannst nichts falsch machen.

Ich: Danke, dass du mich bestärkst. Wie geht es dir jetzt in Bezug auf die schwarze Katze?

Charly: Na, ja. Schon besser. Ich hab aber immer noch Angst und ich möchte dich nicht teilen. Du kümmerst dich so oft um sie.

Ich: Ja, das tut mir leid, dass du dich zurückgesetzt fühlst. Aber ich bin immer für dich da. Ich sorge mich nur um sie, weil ich denke, dass sie kein zu Hause hat.

Charly: Doch sie hat eins, aber es gefällt ihr bei dir.

Ich: Weißt du wo sie wohnt?

Charly: In der Nähe.

Ich: Ich rufe morgen beim Tierschutz an und frage was ich tun soll.

Charly: Das ist eine gute Idee, aber sie kann ruhig wieder gehen.

Ich: Möchtest du keinen Freund?

Charly: Nicht wirklich. Ich bin neidisch auf das Futter, das du ihm gibst.

Ich: Das brauchst du nicht sein. Es ist genug für euch beide da. Aber wenn sie kein Zuhause hat…ach so, du sagtest ja sie hat eins. Sie ist so nett.

Charly: Er. Es ist ein Er.

Danach redeten wir noch über seine Gesundheit.

Ich habe nicht geglaubt, was ich da erfahren hatte, bis ich eines Besseren belehrt wurde. Dieses Gespräch zeigte mir, dass ich sehr wohl meiner Intuition und den Antworten der Tiere vertrauen darf. Es gibt so vieles was der Verstand boykottiert, weil er es nicht greifen kann. Dieses Gespräch ist kein Fake und ich habe es mir auch nicht für diese Geschichte ausgedacht. Die Kommunikation mit Tieren kann sich jeder aneignen ob Mann, Frau oder Kind. Kinder zählen allerdings zu den Empfänglichsten und sie können es sowieso, bis es ihnen von der Erwachsenenwelt ausgeredet wird.

Eure Gisela mit Kater Charly