Charly und der schwarze Gast

Erste Begegnung

Erst habe ich ihn gar nicht bemerkt, unseren schwarzen Besuch auf der Terrasse. Erst als Charly zur Salzsäule erstarrt und mit geweiteten Augen immer in die gleiche Richtung starrte wurde ich aufmerksam. Ich erhob mich von der Sitzbank und schaute über den Tisch, was mein versteinerter Kater anstarrte. Eine schwarze, schlanke, langgestreckte Katze fixierte ihn mit ihrem gelben Blick. So standen sie sich gegenüber – Auge um Auge. Charlys Rückenhaare sträubten sich, doch ich sah noch keinen Grund einzuschreiten. Ich dachte, dass sich die Situation von selbst klären würde. Die Schwarze näherte sich meinem Vierbeiner und versuchte vorsichtig mit ihrer Nase seine Nase zu berühren. Doch das war zu viel für den Terrassenbesitzer. Er buckelte und stellte sich quer um zu zeigen wie groß und stark er ist. Jetzt hatte ich das Gefühl, doch etwas unternehmen zu müssen. Ich ging einen Schritt auf die Kontrahenten zu. Als ich neben den beiden stand und meine Hand zur Schlichtung auf Charlys Rücken legte, erschrak sich die Schwarze. Sie schaute mich mit weit aufgerissenen Augen an und verschwand durch die Begrenzungshecke.

Der Angsthase

Doch jetzt zeigte sich der wahre Held in meinem Stubentiger. Er rannte wie von der Tarantel gestochen zurück in die Wohnung, schlich ins Bad und erklomm die Waschmaschine. Ein Platz an dem er vorher noch nie gesessen hatte. Lachend versuchte ich ihm die Angst auszureden. Doch er blieb den ganzen Abend auf dem sicheren Aussichtsplatz im Dunkeln sitzen. Erst als es schon spät war, kam er in geduckter Haltung zu mir ins Wohnzimmer zurück und blickte sich ängstlich um. Langgezogen schaute er um den Vorhang herum, durch die geschlossene Terrassentür, ob die Schwarze noch da war. Ich beruhigte ihn und erklärte ihm, dass sie schon längst nach Hause gegangen war. Ab diesem Zeitpunkt wich er mir nicht mehr von der Seite. Normalerweise geht er mit mir nicht ins Bett, weil er meistens munter wird, wenn ich schlafen gehe, aber diese Nacht spürte ich ihn ganz nah bei mir liegen.

Am nächsten Tag würde er das Erlebnis bestimmt wieder vergessen haben, glaubte ich. Doch darin hatte ich mich sehr getäuscht, denn die kommenden Tage saß er, wenn ich von der Arbeit nach Hause kam, auf der Waschmaschine. Aber langsam gewöhnte er sich daran, dass eine schwarze Gleichartige täglich um und über unserer Terrasse ihr Revier absteckte. An diesen warmen Tagen beobachtete ich die Schwarze fast täglich, wie sie vor der Terrasse im Gras schlief und sich in der Sonne aalte. Manchmal spitzten nur ihre Ohren durch das Gebüsch und ich sah sie mit ihrer dunklen Tarnfarbe nicht. Aufmerksam wurde ich erst, wenn Charly seine Schnauze schnüffelnd hob und ihre Witterung außerhalb seines Territoriums aufnahm. Sie war ihm immer noch nicht geheuer und um ihm zu beweisen, dass ich auf seiner Seite stand, wollte ich die Schwarze sanft verscheuchen. Doch das war gar nicht nötig, denn sie ist mir gegenüber sehr scheu und verschwindet sofort, wenn ich ihr zu nahekomme.

Integration

Mein tapferer Kater wurde von Tag zu Tag lockerer. Die Waschmaschine wurde nicht mehr besetzt und er bewegte sich wieder normal in seiner Umgebung. Seit ein paar Tagen regnet es und die Terrasse wird von mir nicht benutzt. Gestern öffnete ich zum Lüften die Terrassentür. Sobald der Zugang nach Außen frei war, kam mein Stubenkater um frische Luft zu schnappen. Er ist kein Freigänger, aber das beschnuppern der Terrassenpflanzen findet er sehr interessant. Doch nach drei Schritten stoppte er plötzlich und erstarrte. Ich sah das schwarze Problem erst, als ich seinem Blick folgte. Da lag sie. Eingekuschelt zwischen den Polstern, die ich auf dem unter den Tisch geschobenen Sitzhocker, verstaut hatte. Sie lief nicht weg, sondern blinzelte uns abwechselnd schlichtend an. Dieses Mal näherte er sich ihr langsam, als könnte er gar nicht begreifen, wie unverschämt gemütlich es sich diese Person bei uns eingerichtet hatte. Als ich bemerkte, wie sich langsam seine Haare aufrichteten, schickte ich ihn in die Stube und schloss die Tür. Als ich mich zurück aufs Sofa setzte, kringelte er sich hinter mich mit einem unschuldigen Augenaufschlag zusammen. Der schwarze Besuch blieb jedoch unbeirrt an seinem bequemen Platz bis er seine Ruhezeit beendete. Ich sah wie sich die schwarze Migrantin herausschlängelte und lang ausstreckte. Dann warf sie noch einen Blick zu uns ins Wohnzimmer, als ob sie sich verabschieden wollte, und trottete davon. Heute, als ich von der Arbeit heimkam lag sie wieder eingekuschelt unter dem Tisch. Ich ließ sie schlafen und lüftete erst, als sie gegangen war. Mein Grauer untersuchte danach alles akribisch. Ich denke, dass er sich langsam an unseren Gast gewöhnt, doch ob die beiden Freunde werden wage ich zu bezweifeln.

Vielleicht ist sie ja auch eines Tages plötzlich wieder so verschwunden, wie sie aufgetaucht ist. Bei Katzen weiß man das ja nie so genau. Eure Gisela und Charly