Wie geht es Charly?

Zurücklassen

Der Tag, an dem ich Charly in die Tierarztpraxis zur Zahnbehandlung gebracht habe und zurücklassen musste, war einer meiner längsten. Zum Glück strahlte die Sonne, als ich mich ohne ihn auf den Heimweg begab. Zu Fuß ist es eine ziemlich weite Strecke. Um nicht ständig an ihn zu denken, ob er schon schläft, oder bereits Röntgenaufnahmen gemacht wurden und wie viele Zähne wohl herausgenommen werden mussten, schlenderte ich dahin und betrachtete aufmerksam die Umgebung. Ich suchte nach schönen Fotomotiven und nach Zeichen, die mir sagen sollten, dass alles gut gehen würde. Es war seltsam, denn alles was mir begegnete, sagte mir genau das: „Alles wird gut.“ Auch mein Körper fühlte sich entspannt und meine Seele beruhigt an. Ich konnte den kurzen Aufenthalt am See und den restlichen Heimweg sogar genießen.

Abholen

Als ich nach Hause kam, war es schon komisch, dass mein Kater nicht da war. Auch wenn er mich nicht wie ein Hund schwanzwedelnd an der Tür begrüßt, sondern meistens irgendwo liegt und schläft, fühlte sich die Wohnung leerer an. Ich kann es nicht erklären – und vielleicht geht es auch anderen Haustierbesitzern so – aber seine Anwesenheit ist für mich spürbar. Die Energie in der Wohnung ist dann eine ganz andere. Ich setzte mich auf mein Sofa und überlegte, wie ich mir die Wartezeit verkürzen konnte. Sobald Charly aus der Narkose wach wurde, würde mich die Tierarztpraxis anrufen und mir Bescheid geben. Doch mir fehlte die Motivation, mich mit Hausarbeit oder etwas Anderem zu beschäftigen. Gegen vierzehn Uhr erhielt ich dann den erlösenden Anruf: „Charly ist wach, es geht ihm gut und er ist auch schon fit. Sie können tief durchatmen.

Wahrscheinlich hat sie meinen Schnaufer gehört.

„Nur fressen tut er nichts.“

„Ja. Mit Futter ist er ganz speziell,“ antwortete ich.

„Wir beobachten ihn noch ein bisschen und um sechzehn Uhr können Sie ihn wieder abholen.“

Ich war glücklich. Da ich noch ein bisschen Zeit hatte und nicht so recht wusste, was ich tun sollte, googelte ich im Internet. Seit ich weiß, dass mein Kater Herzkrank ist, spukt mir der Gedanke „Was mache ich mit Charly’s Körper, wenn er mich verlässt?“ ständig in meinem Kopf. Also suchte ich nach Tierbestattungsmöglichkeiten, denn bei der Tierverwertung wird mein Kater einmal nicht landen. Das ist sicher. Jetzt bin ich vorbereitet und wenn es dann einmal soweit sein sollte, weiß ich nun was ich tun werde.

Meine Tochter war pünktlich da, um mich mit dem Auto in die Praxis zu fahren und uns wieder nach Hause zu bringen. Ich freute mich, als die Tierarzthelferin sagte, dass Charly, als er mich hörte sofort aufgestanden war und seine Lebensgeister überraschend schnell zurückkehrten. Und da wird behauptet, dass nur Hunde zeigen könnten, wie sehr sie ihre Menschen mögen.

Genesung

Daheim durfte Charly erst einmal aus seiner Transporttasche heraus. Sein Gang war normal und Nachwirkungen der Narkose waren nicht deutlich erkennbar. Die Medikamente, die er während der OP verabreicht bekommen hatte, zeigten noch ihre Wirkung. Er legte sich vor die Terrassentür und schaute lange nach draußen. Wie er die Prozedur verkraftet hatte, würde sich erst am nächsten Tag zeigen. In kleinen Portionen durfte er auch wieder sein Futter aufnehmen und weil sein Magen nicht rebellierte konnte er am Abend schon wieder ganz normal fressen. Er genoss die Streicheleinheiten und ich betrachtete mir sein linkes kahlrasiertes Hinterbeinchen. Die Stelle in der die Narkosenadel gesteckt hatte, sah schlimmer aus, als es war. Gerne hätte ich auch seine beiden Zahnlücken mit den selbstauflösenden Fäden betrachtet, aber da war er nicht damit einverstanden. Ich studierte den Zettel, den mir die Tierarztpraxis mitgegeben hatte, denn ab morgen bekam er zu seinen üblichen Medikamenten noch Antibiotika und Schmerzmittel ins Futter. Nach der letzten Fütterung verkroch sich mein Geplagter unter mein Bett. Sein Rückzugsort bei Unbefindlichkeiten. In letzter Zeit tat er das öfters. Die Hoffnung auf eine ruhige Nacht erfüllte sich und er ließ mich sogar länger schlafen wie gewöhnlich.

Damit er die Medikamente auch alle aufnahm, pulverisierte ich die Tabletten und mischte sie unter eine kleine Portion Futter. Erst als er diese aufgefressen hatte, bekam er Nachschub. An Appetit mangelte es nicht, doch die Fäden empfand er als außerordentlich störend. Er versuchte sie mit der Zunge herauszuschieben oder durch Kopfschütteln los zu werden. Dabei spuckte er auch immer eine kleine Menge Futter auf den Fußboden. Das vergraulte ihm die Lust aufzuessen und er begnügte sich mit einer vorläufigen Sättigung. Die Tierärztin hatte mich darauf schon vorbereitet, aber auch versichert, dass er sich daran gewöhnen würde.

Von Tag zu Tag ging es ihm besser. Seine Unter-dem-Bett-Aufenthalte wurden weniger und er suchte wieder meine Nähe. Nun bevorzugte er es wieder auf dem Bett zu liegen, ein Zeichen, dass er sich wohl fühlt.

Nach sieben Tagen musste ich ihn wieder in die inzwischen geächtete Transporttasche packen und mit ihm zur Nachuntersuchung. Die Tierärztin zeigte mir die Zahnlücken, die ich jetzt endlich mit ihrer Hilfe auch genau betrachten konnte. Sie waren super verheilt und sie war sehr zufrieden. Sein Gewicht hatte sich um 200 Gramm reduziert, was jetzt für seine Statur nicht weiter schlimm war. Als ich das Antibiotika absetzen durfte, normalisierte sich sein Hunger auch wieder. Vermutlich hatte ihm das Medikament auf den Magen geschlagen. Das ist das Paradoxe an der Medizin – hilfreich und schädlich zugleich. Egal ob für Mensch oder Tier.

Medikamente

Ich persönlich stehe mit Medikamenten auf Kriegsfuß. Mir muss schon der Kopf platzen, dass ich eine Schmerztablette einnehme. Deshalb stehe ich auch in Bezug auf Medikamenteneingabe bei meinem Kater in einem Zwiespalt. Wieviel ist noch gut und richtig? Dabei ist für mich wichtig, dass Charly keine Schmerzen hat oder unter einer nicht mehr tiergerechten Lebensqualität leiden muss. Antibiotika und Schmerzmittel waren da sicher eine gute Lösung. Das waren auch Medikamente, die man wieder absetzen konnte. Aber was ist mit der Medizin, die ich ihm aufgrund seiner unheilbaren Herzerkrankung dauerhaft eingeben soll? Blutdrucksenker und Entwässerungstabletten zeigen zwar ihre Wirkung, aber sie können auch andere Organe schädigen, z.B. die Nieren. In drei Monaten wäre wieder der Herzultraschall fällig. Da würde dann festgestellt werden, ob die Ödeme sich zurückgebildet haben oder sich mehr Wasser in seinem Körper abgelagert hat. Wenn das so ist, müsste die Tablettendosis erhöht werden. Eigentlich sind das nur lebensverlängernde Maßnahmen. Natürlich möchte ich, dass Charly so lange wie möglich noch bei mir ist, aber reicht es nicht schon, dass wir Menschen uns lieber lange quälen als das Leben loszulassen? Ich persönlich habe zum Leben und Sterben eine spirituelle Meinung.

Mir stellt sich auch die Frage, was Menschen tun, die nicht so viel oder gar kein Geld für Tierkrankenversicherungen und Tierarztkosten haben. Deshalb sollte man Personen gar nicht verurteilen, die Tiere in einem desolaten gesundheitlichen Zustand abgeben. Sich von ihrem Tier zu trennen ist diesen Leuten bestimmt auch nicht leichtgefallen. Natürlich ist dieses Verhalten für mich auch egoistisch und grausam. Deshalb bin ich froh, dass ich die Tierarztrechnungen noch bezahlen kann, obwohl das Geld für andere Zwecke angedacht war. Schließlich hat man eine gewisse Verantwortung für sein Tier übernommen. Aber was würde ich tun, wenn ich nicht könnte?

Charlys Tierheilpraktikerin hat mir ebenso ein paar Tipps gegeben, welche Heilmittel gut sind um seinen Magen-Darm-Trakt nach der Antibiotikaeingabe wieder zu verbessern. Das ist wichtig für ihn, weil ihn sein Magen schnell drückt. Das bekommt er von mir nun drei Monate verabreicht. Auch bei natürlichen Präparaten gibt es eine ganze Litanei an Empfehlungen für Charlys Probleme. Da gibt es z.B. verschiedene Vitapilze, die eine entwässernde Wirkung haben, welche die die Nieren stärken, unregelmäßige Herztätigkeit regulieren und den Herzmuskel kräftigen. Diese Heilmittel von Mykoplan sind meiner Ansicht die Besten, aber als dauerhafte Eingabe auch kostspielig und irgendwo sind auch bei mir finanzielle Grenzen gesetzt. Trotzdem finde ich diese Produkte besser, als die chemischen. Nun habe ich die Qual der Wahl. Was ist sinnvoll und was überlasse ich dem natürlichen Lauf?

Ich denke: „Kommt Zeit, kommt Rat,“ und meistens kommt er von oben.